Encodya im Test (PC): Futuristisches Adventure mit Schwächen

von Marco Mainz

Encodya ist der erste Streich von Chaosmonger Studios. Die estischen Entwickler bewerben ihr Debüt-Werk vollmundig als „modernes Point & Click Abenteuer“. Ob ihnen das geglückt ist, verrate ich in diesem Test.

In dem Spiel wird das neunjährige Mädchen Tina gesteuert, das im Jahr 2062 als Waise im Berlin der Zukunft aufwächst. Das futuristische Neo Berlin wird vom polarisierenden Bürgermeister Rumpf regiert. Ich gehe jetzt nicht auf die offensichtlichen Parallelen zu Donald Trump ein, unterstelle dem Entwickler da aber eine gewisse Absicht.

Tina wird begleitet von ihrem Nanny-Bot SAM, ein Roboter, der ihr zur Geburt an die Seite gestellt wurde und sie seither vor Gefahren beschützt. Zusammen schlagen sie sich durch das Leben, bis sie eines Tages auf eine seltsame Nachricht von Tinas verschollenem Vater stoßen. Sie beginnen, seinen Spuren durch die dystopische Stadt zu folgen.

Im Spiel interagiert man mal mit SAM und mal mit Tina – je nachdem wessen Expertise gerade gefragt ist. SAM ist für technische Aspekte, Konversation mit Robotern oder Körpergröße gefragt; Tina übernimmt den Rest. Die beiden können aber auch untereinander interagieren.

 
Spricht man SAM mit Tina an, so gibt es entweder die Möglichkeit, ihn nach seinem Alter zu fragen, oder ihn um einen Hinweis für den Spielfortschritt zu bitten. Der fällt aber so vage aus, dass ich nur einmal darauf zurückgegriffen habe.

Ein holpriger Start

Den ersten Eindruck hat Encodya leider vermasselt. Das beginnt schon bei den buchstäblichen ersten Schritten – Tina bewegt sich nämlich nur sehr langsam. Sie kann zwar rennen, aber wenn ein Item zur Interaktion ausgewählt wird, geht sie lediglich in Schritttempo dorthin, was den Spielfluss spürbar unterbricht.

Außerdem sind die Bewegungen von Tina und SAM nicht allzu gut aufeinander abgestimmt. Die beiden zappeln manchmal umeinander herum oder blockieren das Sichtfeld, weil sich auf kurzer Distanz nur der ausgewählte Charakter bewegt. Auch Passanten laufen einfach durch SAM hindurch, wodurch sich viele Bewegungen holprig anfühlen.

Dieser Eindruck macht auch vor der Steuerung nicht halt: Will man eine Passage durchqueren, geht das nicht etwa per Pfeiltasten. Stattdessen muss man immer per Doppelklick an den Rand des Bildschirms rennen, um sich nicht ausschließlich im Schneckentempo zu bewegen. Das ist ein unnötiges Ärgernis.

 
Das Grundprinzip des Spiels ist wie in jedem Point-and-Click: es wird mit Gegenständen und Personen interagiert, um Rätsel freischalten und lösen zu können. Das erste Rätsel hat mir direkt Kopfzerbrechen bereitet, denn es erschloss sich mir nicht direkt, dass ich mithilfe eines Glases und verrotteten Essens buchstäblich das Ticket zur Freiheit lösen sollte. Mehr Hinweise gibt es an dieser Stelle aber nicht!

Starre Gesichtsausrücke

Die Grafik überzeugt mit seinem Animations-Stil, der durch seinen Mix aus Betontextur und entsättigten Farben ein ganz eigenes Stimmungsbild schafft. Bei näherer Betrachtung ist jedoch noch Luft nach oben. Das Gesicht von Tina etwa: Statt eines fröhlichen, aufgeweckten Mädchens, erinnert ihr Gesichtsausdruck an eine starre Horrorpuppe, die nur in den Cutscenes mal menschlich wirkt. Andere Figuren sind da zwar besser gelungen, die leblosen Mimiken ziehen sich aber durch das gesamte Spiel hindurch.

Die blau-grün-stichige Welt ist dagegen stimmig und durchaus detailreich. So sieht man an allen Ecken und Enden Graffitis, Wahlplakate oder Neonreklamen. Leider finden sich oft nur plotrelevante Punkte auf dem Bildschirm, was es recht einfach macht, hilfreiche Items einzusammeln und mit den richtigen Personen zu sprechen. Etwas subtilerer hätten die relevanten Aspekte dann doch eingebaut werden dürfen.

Eine leere Welt

Zugegeben, mit dem Weltdesign wurde ich lange nicht warm. Das liegt vor allem daran, dass die Stadt zwar Neo Berlin heißt und mit Robotern übersät ist, trotzdem wahrlich kein futuristisches Gefühl aufkommt. So ist alles entweder kaputt oder kostet Geld, das Tina nicht zur Verfügung hat. Roboter scheinen zwar überall eingesetzt zu werden, aber in Aktion sieht man sie nicht: NPCs, mit denen eine Interaktion möglich ist, stehen oft nur träge herum.

 
Es gibt aber Lichtblicke: der wortwörtlich völlig unter Strom stehende Überwachungsroboter zum Beispiel, der einem zum Abschied in mehr schlechtem als rechtem Deutsch „Tschuuuuus“ zuruft. Oder der cholerische Bürgermeister, der in einer sehr lebendigen Zwischensequenz in seinen Telefonhörer brüllt. Sie bleiben aber seltene Momente. Trotz der vorbeifliegenden Fahrzeuge und der flanierenden Passanten wirkt die Welt leer und unbelebt. Nicht lieblos, soweit will ich nicht gehen, aber irgendwie unfertig.

Immerhin ist Neo Berlin nachts eine recht hübsche Stadt, in der auch mal so etwas wie Atmosphäre aufkommt, da die Neonlichter und der zum Trope in Cyberpunkspielen verkommene Regen jene besondere Stimmung erzeugen.

Wir müssen reden

Die Gespräche wirken linear und uninspiriert. Zudem wirkt die Verabschiedung oft ruckartig. Beziehungen zwischen Charakteren verändern sich nicht, solange es nicht eine Mission in der Story betrifft: Die schläfrige Oma Hilde, zu deren Wohnung man sich den Zugang erschleicht, begrüßt Tina auch nach einer abgeschlossenen Mission noch mit entsetztem Erstaunen, wer sie denn sei.

Die Entwickler haben sich viel Mühe gegeben, kleine Easter Eggs in den Konversationen zu verstecken, die auch mal für einen Schmunzler sorgen. Das täuscht aber nicht über den holprigen Gesamteindruck hinweg. Dafür leisten die englischen Synchronsprecher gute Arbeit und hauchen den Figuren mehr Leben ein, als die Grafik es vermag.

Der Soundtrack ist bestenfalls eintönig. Es gibt positive Ausnahmen, wie Maisys eingängiges Lied im Diner, ansonsten merkt man nicht viel von der Hintergrundmusik, die mich mancherorts an Fahrstuhlgesdudel erinnerte. Nachts wird der Soundtrack etwas rauer und trägt mit seiner mechanischen Verzerrung deutlich besser zur Atmosphäre bei. Viel auffälliger sind die deutschen Werbedurchsagen, mit denen Neo Berlin dauerhaft beschallt wird.

Fazit

Ein gutes Spiel lebt nicht nur von einer gelungenen Story, sondern auch von einer stimmigen Umgebung. Mir scheint, die Entwickler haben Letzteres nicht beherzigt. Die Umgebung von Encodya leidet nämlich unter all den Kritikpunkten, die ich genannt habe. Zudem wurde das Potenzial verschenkt, zwei sehr unterschiedliche Charaktere spielen zu können. SAM trägt zur Story selbst nichts Wesentliches bei und wirkt gezwungen in die Story eingebaut. Dadurch sind mir weder Tina noch SAM während des Spielens wahrhaft ans Herz gewachsen.

Trotz all der geäußerten Kritik am Design, an den eindimensionalen Dialogen und Charakteren und an den Hol-dies-mach-das-Rätseln machte mir Encodya hin und wieder Spaß. Meistens dann, wenn ich ein Rätsel gelöst hatte, das mich über irgendein Hindernis hinwegbrachte.  Trotzdem kann ich Encodya unter dem Strich nicht empfehlen.

Wir erinnern uns: Die Entwickler bewerben ihr Spiel als modernes Point & Click Abenteuer. Am Ende war es leider lediglich der Verkehr von Neo Berlin, der auf mich wirklich modern wirkte.

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