White Shadows im Test (PC): Licht ist Leben

von Marco Mainz
White Shadows Key Art

Mit seinem Puzzle-Plattformer White Shadows nimmt euch das Kölner Studio Monokel mit auf eine surreale, visuell mitunter atemberaubende Reise, die sich an den ganz Großen des Genres orientiert.

Das Leben in der Großstadt ist nicht leicht – vor allem, wenn man ein Rabenmädchen ist und die anderen Fabeltiere den Vögeln die Schuld zuzuschieben an allem, was da so schief gelaufen ist in der Vergangenheit. Zum Beispiel, dass es kein Sonnenlicht mehr gibt. „Birds are a Plague“ macht die Propaganda den Schweinen weis, die in der Rangordnung Äonen über den Raben stehen.

 
Die vermeintliche Plage ist nur zum Arbeiten gut oder um mit ihrem Überlebenskampf die Schweine zu unterhalten, die ihrerseits wie willenlose Propagandaschafe Schlange stehen, um in den Genuss eine künstlichen Lichtbads zu kommen. „One Lightbath a Day keeps the Darkness away“ hämmert die Werbung ihnen ein.

Auf den Spuren von Indie-Klassiker Limbo

Und Licht ist ein rares Gut, gewissermaßen Handelsware Nummer 1 in einer Fabelwelt, die deutlich von George Orwells Klassiker Animal Farm (Farm der Tiere) inspiriert sein dürfte. Erzählt wird die Geschichte von White Shadows über lange Strecken fast ausschließlich über das Gameplay, erst im letzten Spieldrittel kommt etwas narrativer Background dazu. Und das Ende, nun, das lässt durchaus Raum zur Interpretation.

 
Während für die Story Orwell Pate gestanden haben dürfte, sind die Vorbilder in Sachen Gameplay noch leichter auszumachen. Wie Monokel in einem Tweet verraten hat, liegt die erste Idee für White Shadows schon zehn Jahre zurück.

Ein kleines, nicht nur wegen seinem Look wegweisendes Spiel namens Limbo war da gerade erschienen. Und an diesem Limbo, ebenso wie an Playdeads Nachfolger Inside orientiert sich White Shadows unübersehbar. Um es vorweg zu nehmen: In der Liga von Playdead spielt Monokel mit ihrem Debüt noch nicht.

White Shadows GrafikEin Rabenmädchen in der großen, gefährlichen Stadt: Was Optik und Präsentation angeht, braucht sich White Shadows im Genre der Puzzle-Plattformer wahrlich nicht zu verstecken. | Bildquelle: eigener Screenshot

Die ganz großen Momente, Wendepunkte und Überraschungen, die einem die Kinnlade herunterklappen lassen – sie fehlen hier ein wenig. Aber vom ersten Screen an bis zum vieles offen lassenden Ende ist das eine äußerst kurzweilige, mehr als solide und ungemein stilsicher präsentierte Reise, auf die euch die Kölner mitnehmen wollen.

Überzeugende Szenerie kaschiert schlichtes Gameplay

Was Monokel rein visuell auffährt ist beeindruckend. Wer seine Spiele ausschließlich bunt mag, wird bei diesem monochromatischen Trip nicht glücklich werden, alle anderen sollten der Film Noir-Ästhetik und der gelungenen Kameraarbeit einiges abgewinnen können.

 
Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass ich mehr die Szenerie als die Protagonistin im Auge hatte. Was in Ordnung ging, da das Gameplay von White Shadows derartige Unaufmerksamkeit nur selten bestraft. Manchmal aber doch, es gibt schon ein paar kniffligere Ecken in dieser mitunter nur sehr spärlich erleuchteten Fabelwelt.

White Shadows LichtIn der Fabelwelt von White Shadows ist Licht ist nur noch in künstlich erzeugter Form erhältlich – und Handelsware Nummer 1. | Bildquelle: eigener Screenshot.

Und, leider, auch ein wenig Trial and Error, sowohl bei Plattform-Passagen als auch bei den eher raren Rätseln, aber vielleicht war ich bei letzteren (ich meine dich, Lichtschalter-Rätsel) auch einfach nicht clever genug.

Am Controller braucht ihr nur zwei Buttons und den linken Stick, um das aufrecht laufende Rabenmädchen durch die Großstadt zu steuern. Ihr springt, hangelt euch an Vorsprüngen hoch, verschiebt Kisten, drückt Schalter und haltet euch von Suchscheinwerfern fern: In Sachen Gameplay schafft es Monokel nur selten, den Spieler zu überraschen.

Im Gegenzug überspannen sie den Bogen auch nicht, verweilen nie zu lange bei bestimmten Elementen und liefern genug neue, um euch mühelos bei der Stange zu halten.

Eine kurze Reise für jeden, ohne technische Hürden

Mir fallen jetzt nur ein oder zwei kurze Strecken ein, die ich als Füller bezeichnen würde, ansonsten bleibt White Shadows bis zum Ende hin frisch. Dreieinhalb Stunden habe ich etwa gebraucht, schnellere Spieler, die sich nicht nebenbei Notizen für einen Test machen, könnten durchaus auch in etwas mehr als zwei Stunden durch sein.

White Shadows Rail

Die Rail-Passagen sind cool inszeniert. Ein Rücksetzpunkt wäre hier allerdings ein feiner Zug gewesen, denn wie an mehreren Stellen im Spiel geht es nicht ohne Trial and Error. | Bildquelle: eigener Screenshot.

Technisch gibt’s nicht viel zu meckern. Ein paar Glitches, gelegentliche Framerate-Einbrüche und ein Bug, der mich nötigte, den Checkpoint neu zu laden und die mit Abstand längste und nicht überspringbare Cutscene noch einmal anzuschauen.

Davon abgesehen lief White Shadows tadellos. Und was für eine derart beeindruckende Optik auch nicht selbstverständlich ist: Die Systemanforderungen sind minimal. Theoretisch müsste White Shadows sogar auf meinem Arbeitslaptop laufen – muss ich mal ausprobieren.

Ein Wort noch zur musikalischen Untermalung: Es gibt eine, in manchen Situationen, die allesamt gut gewählt sind. Ebenso wie die Musik selbst, wenngleich Richard Wagners Ritt der Walküren vielleicht nicht die mutigste und frischeste Wahl ist. Eine passende ist es aber fraglos und auch dieser Aspekt beweist, wie souverän sich Monokel mit ihrem Debüt im Genre der cinematischen Puzzle-Plattformer etabliert.

White Shadows Story

Im letzten Spieldrittel erfährt man, was in der Welt der Fabelwesen eigentlich schief gelaufen ist. Und warum die Vögel ganz unten in der Hackordnung stehen. | Bildquelle: eigener Screenshot.

Fazit

Ich lehne mich wohl nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich den Kölner Monokeln unterstelle, dass sie große Fans von Playdead sind. Aber an wem soll man sich orientieren, wenn nicht an den Besten? Und wenn White Shadows auch nicht die Klasse von Limbo oder Inside erreicht, so gelingt es dem Rabenmädchen mit den dünnen Vögelknöchelchen doch mühelos, in deren Fahrwasser mitzuschwimmen und Anschluss zu halten. Ich habe sie von Anfang bis Ende gern begleitet, mich nie gelangweilt und nur ganz selten ein klein wenig geärgert.

In Sachen Gameplay bleibt White Shadows für meinen Geschmack ein wenig zu sehr auf der sicheren Seite. Rein visuell ist der monochromatische Fabeltrip durch die Großstadt aber über jeden Zweifel erhaben und fast durchweg ein Augenschmaus.

Wer Limbo und Inside liebt, wird auch White Shadow mögen. Ein vielversprechendes Debüt des jungen Kölner Studios.

Hat euch der Artikel gefallen? Weitere Spiele-Tests findet ihr hier.

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