The Longest Road on Earth im Test (PC): Ein experimentelles Abenteuer ohne viel Interaktion

von Marco Mainz
The Longest Road on Earth Key Art

The Longest Road on Earth zu spielen, fühlt sich an, wie in den Fotoalben von Fremden zu blättern. Brainwash Gangs und TLR Games‘ neustes Werk spricht nicht und fordert uns auch nicht.

Wir nehmen uns Zeit, jedes einzelne der Schwarz-weiß-Fotos gebührend zu bewundern, während im Hintergrund melancholische Musik läuft. Nur dass es keine Fotos sind, die wir betrachten, sondern interaktive Geschichten in monochromer Pixelkunst.

Im Moment verweilen, in Erinnerungen schwelgen

Wir werden in die Rolle eines Zuschauers versetzt. Mal von nah, mal von fern betrachten wir die Szenen und sollen uns die Geschichten selbst zusammensetzen. Manchmal schlüpfen wir selbst in die Haut der Figuren, aber die Interaktionen sind insgesamt auf das Nötigste begrenzt.

Mit den Pfeiltasten bewegen wir den jeweiligen Charakter durch seine Umgebung. Die Figuren laufen langsam, uns bleibt also genug Zeit für die Betrachtung der Hintergründe, die stellenweise atemberaubend schön sind.

 
Mit der Leertaste können wir interagieren. Dabei führen wir verschiedene Aktionen aus, manchmal nehmen wir einen Gegenstand auf, oder wir treten in die Pedale, schauen aus dem Fenster oder pusten eine Pusteblume. Wir wählen unser eigenes Tempo, denn meist gibt uns das Spiel die Zeit, den Moment zu genießen.

In manchen Szenen verweilen wir minutenlang. Dabei bekommen wir genügend Möglichkeit, über die Charaktere nachzudenken und ihre Geschichte zu ergründen. Es gibt vier Figuren, deren Leben wir in den verschiedensten Momenten begleiten.

The Longest Road on Earth Character

Diese Maus ist eine von von vier Hauptfiguren in The Longest Road on Earth. | Bildquelle: eigenr Screenshot

Sie werden zwar chronologisch erzählt, wechseln sich aber zwischen den Figuren ab, deren Wege sich zufällig kreuzen. Wir müssen selbst schlussfolgern, in welcher Periode wir uns gerade befinden. Das ist meist anhand der sorgfältig gestalteten Umgebung möglich.

Seien es lange Schlangen zu Zeiten der Depression oder ein Foto, das die New Yorker Skyline zeigt: Es sind subtile Momente, die uns die zeitliche Abfolge näherbringen und gerade erst erlebte Szenen einer nostalgischen Erinnerung zuordnen.

Melancholische Klänge voller menschlicher Gefühle

Unsere Hauptfiguren sind tierischer Natur. Da wäre eine Maus mit großen Ohren, die in einem ländlichen Haus mit Veranda lebt. Dann ein Fuchs mit Schiebermütze, der sich als Arbeiter in Fließbandjobs durchschlägt. Ein Bär, der in einem Hafenbüro arbeitet.

The Longest Road on Earth Schwarz-weiß-Grafik

Die besondere Ästhetik des Indie Games entsteht durch sein Pixel-Stil in Schwarz-weiß. | Bildquelle: Raw Fury

Und wir erleben das Aufwachsen eines kleinen Elchs und sehen die Welt durch seine kindlichen Augen. The Longest Road on Earth entwickelt dabei einen erzählerischen Sog, dem wir uns nur schwer entziehen konnten.

Den Soundtrack nur als melancholische Musik zu bezeichnen, wird der schwerelosen Leichtigkeit nicht gerecht, mit der er sich in unsere Gehörgänge windet. Beícoli ist eine spanische Künstlerin, deren tragende Stimme von sanften Gitarrenklängen begleitet wird, die perfekt zum nostalgischen Charakter des Spiels passen.

Viele Szenen treten zugunsten des Liedes in den Hintergrund, das eine ergänzende Interpretation des Geschehens liefert. Wir haben uns beim Lauschen ertappt, während unsere Figur sanft von einem Zug durchgerüttelt wird. Da alle Songs von der gleichen Künstlerin stammen, prägen sich die einzelnen Stücke aber nicht so stark ein.

Das Leben selbst erzählt die besten Geschichten

The Longest Road on Earth Elch

Dieser kleine Elch wird vor allem von fröhlicher Musik begleitet, während wir ihn beim Aufwachsen begleiten. | Bildquelle: eigener Screenshot.

The Longest Road on Earth gibt den kleinen Alltagsszenen Raum und lässt uns das tagtägliche Dasein ganz neu erleben. Mit einer Spiellänge von etwa zwei Stunden und einem strikt linearen Aufbau ist es schwierig, tatsächlich von einem Spiel zu sprechen.

Wir würden „interaktives bebildertes Album“ sagen und es im bestmöglichen Sinne meinen. Die pixeligen Umgebungen sprühen vor Leben, die langsam erzählten Szenen von Trauer, Glück und Sehnsucht rühren uns ein ums andere Mal zu Tränen.

Der Moment selbst steht im Mittelpunkt, sodass die losen Geschichtsenden eine meditative Wirkung entfalten. Die titelgebende Straße fungiert als Metapher für das Leben selbst, eine einzige lange Reise.

The Longest Road on Earth Häuser

Hier führt uns der Arbeitsweg minutenlang vorbei an hohen Häuserzeilen. | Bildquelle: eigener Screenshot

Fazit

So etwas in der Art hat es lange nicht gegeben. The Longest Road on Earth ist eine nostalgische Reise vierer Charaktere, deren Leben in schlaglichtartigen Szenen an uns vorbeiziehen. Publisher Raw Fury und die Entwicklerteams von Brainwash Gang und TLR Games gehen einen mutigen Weg, indem sie einem Spiel fast alles an Interaktivität nehmen, bis nur noch das grafische Gerüst steht.

Doch sie schaffen es, die Lücken mit einem wunderbaren Soundtrack und unserer Imagination zu füllen und uns dabei zu berühren. Das kommt sicherlich nicht bei allen gut an und entzieht sich beinahe einer vergleichbaren Bewertung. Wir waren jedenfalls berührt.

The Longest Road on Earth ist etwas für Liebhaber von langsam erzählten Geschichten, Pixelart und verträumten Soundtracks.

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