Backbone im Test (PC): Aufrüttelnde Dystopie in Vancouver

von Marco Mainz
Backbone Key Art

EggNuts Erstlingswerk Backbone erzählt uns die Geschichte von Waschbärdetektiv Howard Lotor, der immer tiefer in die Abgründe einer dystopischen Gesellschaft gesogen wird. Dabei nimmt das pixelige Abenteuer kein Blatt vor den Mund.

Zwar zählt Backbone in das Genre der Detektiv-Adventures, aber wir kommen noch dazu, warum das dem Point-and-Click nicht gerecht wird. Beginnen wir mit der Story. Privatermittler Howard Lotor ist ein Waschbär und damit steht seine gesellschaftliche Position bereits fest.

Ein Waschbär am Rande der Gesellschaft

Als eines Tages eine verzweifelte Ehefrau zu ihm kommt, übernimmt er die Ermittlung in einem brisanten Fall. Was als die Suche nach einem Vermissten begann, führt in schnell in die zutiefst verdorbenen Milieus des dystopischen Vancouvers. Aufgrund seiner Entdeckungen gerät er in den Fokus von Renée, die ihm fortan zur Seite steht.

Ohne die weiteren Entwicklungen preiszugeben, soviel sei verraten: Backbone greift ernste soziale Probleme auf. Es thematisiert Gewalt gegen Frauen, Drogenmissbrauch, Prostitution, Korruption, soziale Ungleichheit und tiefgreifenden Rassismus mit schockierender Klarsicht.

 
Howard bemerkt schnell, dass es nicht „den einen“ Schuldigen gibt, sondern dass er viel mehr einem System gegenübersteht. In inneren Monologen ergründet er seine eigene Meinung zu den Vorfällen und lässt uns so an seiner Verzweiflung teilhaben. Wir formen im Gespräch mit uns selbst unsere Meinung über die Welt.

Du bist was du sprichst

Außerdem bekommen wir in Dialogen stets die Wahl. Verhalten wir uns höflich, abweisend, misstrauisch, draufgängerisch, neugierig, gelangweilt, kalt? Fast in jeder Situation hängt der Verlauf der Gespräche wesentlich von unserem Tonfall ab.

Backbone Grafik

Je nach Tageszeit unterscheidet sich die Beleuchtung. Hier läuft Howard durch den sanften Schein der Abendsonne. | Bildquelle: Eggnut

Beweisen wir Empathie, lassen sich manche Situationen durch Reden lösen. Treffen wir die falsche Wahl, müssen wir improvisieren. Es gibt immer einen Plan B, wir können uns also nicht in eine Sackgasse manövrieren. Dennoch machen gerade die kleinen Entscheidungen einen Unterschied aus und Backbone zu einem zutiefst immersiven Spiel.

 

Dessen Mechaniken treten verglichen mit dem ausgefeilten Dialogsystem in den Hintergrund. Im ersten Kapitel gibt es eine Schleichpassage, von dieser Möglichkeit wird allerdings wenig Gebrauch gemacht. Stattdessen erkunden wir meist ein Gebiet begrenzter Größe und suchen nach Hinweisen.

Diese werden uns per Augen-Symbol angezeigt. Können wir etwas aufheben, so ist eine Hand zu sehen. Bei Personen wird uns eine Dialogoption angezeigt. So simpel das klingt, so gut funktioniert es auch. Backbone ist intuitiv zu bedienen und verzichtet weitestgehend auf Puzzles, mit wenigen Ausnahmen.

Backbone Cutscene

Kleine Cutscenes in blau und gelb bringen uns Howard und seinen Fahrer und Freund Anatoly näher. | Bildquelle: EggNut

Sein und Schein im Einklang

Es ist schwer zu sagen, wie gravierend unsere Entscheidungen tatsächlich sind. Inwieweit der Ausgang der Geschichte beeinflusst wird, können wir nicht vollends beurteilen, aber das Storytelling ist rundum konsistent.

Vorher getroffene Personen erinnern sich an uns und manche Entscheidungen haben wir bitter bereut. Somit ist es wahrscheinlich, dass alle ihre eigene Geschichte erleben, die sich trotzdem nur im Subtext von anderen unterscheidet. Insbesondere, wenn Backbone eine Meta-Ebene betritt, die uns schwer zum Nachdenken gebracht hat.

Doch damit nicht genug. Optisch ist das 2.5D-Abenteuer ein Genuss. Durch einen realistischen Lichteinfall, die Pseudo-Dreidimensionalität und detaillierte Hintergründe zählt Backbone zu den schönsten Vertretern der Pixelart-Spiele.

Backbone Tourist

Wir können dem Touristen Tipps geben, wie er Fotos von sich selbst nennt – oder es sein lassen. | Bildquelle: EggNut

Sei es nun die Neon-Beleuchtung einer vibrierenden Metropole, die gedämpfte Rotlichtbeleuchtung eines Clubs oder der flackernde Schein eines Lagerfeuers: So lebensnah fühlen sich nur wenige Point-and-Clicks an. Bei Regen laufen sogar große Tropfen an unserem Fenster zur Welt herunter, die den Hintergrund verschwimmen lassen.

Unterbrochen werden die Pixelart-Panoramen von kleinen Cutscenes mit gezeichneten Charakteren, deren blaugelbe Farbgebung aus dem Titelbild entnommen ist. Es ist fürwahr nicht übertrieben zu behaupten, dass in Backbone jeder Pixel durchdacht platziert ist.

Fazit

Lediglich am Sounddesign könnten wir herummäkeln, denn in manchen Passagen herrschte abgesehen von ein paar Umgebungsgeräuschen vollkommene Stille. Die Abwesenheit eines Soundtracks könnte allerdings auch als Stilmittel begriffen werden, denn so konnte nichts unsere Konzentration auf die still geführten Dialoge stören.

Und wenn die Musik zur Geltung kam, hat uns ihre elegante Melancholie überwältigt. Er stammt von Danshin und wird von Arooj Aftabs Stimme ergänzt, die dem Mix aus Triphop und Noir-Jazz eine unverkennbare Note verleiht. Manchmal bleibt der Soundtrack dezent im Hintergrund, manchmal steht er im Vordergrund. Im Gedächtnis bleibt er in jedem Fall.
 

Backbone Grafik

Wir haben gar nicht genug Zeit, all die liebevollen Details zu bewundern, die uns Vancouver präsentiert. | Bildquelle: EggNut

Es sind anthropomorphe Tiere, die Vancouver bevölkern, doch ihre Probleme sind unsere. Ihre Stadt ist von einer meterhohen Mauer umgeben, die das Innere vor dem Äußeren schützen soll. Doch sie schützt auch das Äußere vor dem Inneren. Vieles an Backbone ist philosophisch, doch meist ist es vor allem eines: brutal ehrlich.

Wir konnten uns dem Sog nicht entziehen. Das knapp fünfstündige Abenteuer hallt nach und bietet aufgrund der zahlreichen nicht getroffenen Entscheidungen erheblichen Wiederspielwert. EggNut hat viel versprochen, und sie haben Wort gehalten. Und damit ist Backbone schon Raw Furys zweites Meisterwerk dieses Jahr, The Longest Road On Earth hatten wir hier ebenfalls besprochen.

Alle, die in einer Detektivgeschichte mehr suchen als nur versteckte Items, finden hier Erfüllung.

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