Papers, Please im Test (PC): Fürchterlicher Alltag eines Grenzbeamten

von Marco Mainz

Papiere, bitte. In der politischen Simulation Papers, Please wird jeder Mensch gleichermaßen höflich nach seinen Papieren gefragt. Aber da endet dann auch die Nettigkeit.

Das kleine Indie Game von Entwickler Lucas Pope und Publisher 3909 aus dem Jahr 2013 ist ein bitterböser Tribut an die Strukturen der kommunistischen Sowjetunion. Der Titel spielt im Jahre 1982 im fiktiven Staat Arstotzka und ist ganz in grauschattierter Retro-Pixeloptik gehalten.

Die Grenze öffnet

Der Spieler wird zu Beginn von der Arbeitslotterie ausgewählt und nimmt seine Arbeit an einem Grenzposten auf. Arstotzka weist nicht nur optische Ähnlichkeit mit der Sowjetunion auf. Schon das an einen Einmarsch erinnernde Auftauchen des Titelbildschirms vermittelt einen guten Eindruck der streng hierarchischen Strukturen, mit denen der Spieler nach und nach konfrontiert wird.

Denn Papers, Please ist die Arbeitssimulation eines Grenzbeamten, der von einem faschistischen System angestellt ist und von ihm kontrolliert wird. Jeden Tag liegt eine Depesche mit den Neuigkeiten der Verwaltung auf dem Tisch, in der die aktualisierten Regelungen zu finden sind. Sorgfältiges Lesen ist Pflicht, aber die Zeit ist knapp.

Wird der Rollladen geöffnet, beginnt der alltägliche Papierkrieg. Es gibt neben dem Staat Arstotzka auch die fiktiven Staaten Obristan, Republien, Antegrien, Kolechien, Impor und die Vereinigte Föderation. Jeder, der die Grenze nach Arstotzka überqueren möchte, muss Papiere vorlegen, Ausländer wie Einheimische.

Anfangs reicht ein Pass, aber immer weiter ausufernde Maßnahmen bringen immer neue Papierfluten mit sich. So müssen im Laufe des Spiels bis zu fünf Dokumente miteinander abgeglichen, geprüft und auf Aktualität kontrolliert werden. Natürlich gelten dafür Vorschriften: Die Grundvoraussetzungen müssen erfüllt sein, der Anwärter muss also alle erforderlichen Dokumente vorliegen haben.

Der korrupte Alltag wird zur Herausforderung

Die Dokumente müssen aktuell sein, dürfen also das Ablaufdatum nicht überschritten haben. Die Dokumente dürfen nicht gefälscht sein. Er muss dem Bild im Pass entsprechen. Sein Name und seine Passnummer müssen auf allen Dokumenten übereinstimmen. Und so weiter und so fort, die Liste lässt sich weiter ausdehnen.

All diese Vorschriften sind in einem Handbuch zusammengefasst, das täglich aktualisiert wird. Zur Kontrolle stehen neben den Vorlagen im Handbuch eine Waage und ein Maßstab zur Verfügung. Erfüllt der Anwärter alle vorgegebenen Kriterien, bekommt er einen grünen Stempel in den Pass und darf passieren. Sind Dokumente abgelaufen oder fehlen ganz, wird der Anwärter abgelehnt.

Dafür werden in einem Überprüfungs-Modus die Diskrepanzen aufgedeckt und der Anwärter befragt oder im schlimmsten Fall abgeführt. Ob jemand verhaftet wird, liegt stets im eigenen Ermessen, und da beginnen die moralischen Dilemmata erst. Nicht nur kommt ganz am Anfang ein Grenzbeamter und bietet einem einen kleinen Zusatzverdienst an, wenn man ihn genügend Leute verhaften lässt.

Harter Broterwerb für die eigene Familie

Auch Bestechung spielt eine Rolle, wenn ein Schein mit den Papieren über die Theke wandert, um ein Passieren zu garantieren. Und dann ist da noch ein mysteriöser, verhüllter Agent, der für kleinere Dienste viel Geld verspricht. Und das Geld ist stets knapp, da auch Familienangehörige von dem kargen Lohn versorgt werden wollen.

Spätestens hier wird deutlich, wie wenig wir heutzutage über eine Zeit Bescheid wissen, in der die Grenzen nicht offen waren und der Nachbarstaat nicht der beliebte Urlaubsort ist. Es gilt alle Interessen abzuwägen, nicht aufzufallen und trotzdem seinen Job zu machen.

Sind wir zu langsam, reicht das Gehalt nicht, um unsere Familie zu ernähren. Arbeiten wir schlampig, flattern Mahnungen herein, die in einem Bußgeld münden. Agieren wir unvorsichtig, kann es uns sogar das Leben oder den Job kosten.

Halten wir uns streng an die Vorgaben, so begegnen uns trotzdem täglich jede Menge Schicksale und Geschichten. Nicht selten lesen wir über die Konsequenzen unserer Handlungen am nächsten Tag in der Zeitung.

Minimalistische Gestaltung untermalt

Die Farbgebung ist simpel und trist. Graue, beige und braune Töne dominieren das Bild. Der Arbeitsplatz besteht im Grunde genommen aber nur aus der Übersicht des Grenzübergangs am oberen Bildschirm, dem Blick aus dem Sitz hinter der Scheibe unten links und der Arbeitsfläche unten rechts.

Im Laufe des Spiels beginnen sich dort Ankündigungen, Orden, Fotos, Geld und Schlüssel zu stapeln, sodass es unübersichtlich werden kann. Papers, Please ist kein Spiel für Chaoten. Es erfordert eine Menge Konzentration, die zahllosen Nummern, Namen und Daten korrekt abzugleichen und nichts zu vergessen.

Im Laufe der Zeit stellt sich eine gewisse Übung ein, aber wirklich entspannt wird es nie. Die Frage, warum man freiwillig ein Spiel spielen sollte, das eine solch repetitive und konzentrationsintensive Arbeit erfordert, ist gar nicht so leicht zu beantworten.

Bis auf die stark an einen Marsch erinnernde Titelmelodie gibt es keinen Soundtrack. Das Rascheln von Papier und das Schnarren der Lautsprecheransagen sind das Einzige, was die Stille unterbricht. Die Konversationen sind mittels unverständlicher Schnipsel „vertont“, sicherlich der Tatsache geschuldet, dass Papers, Please ein Einmannprojekt ist.

Trotzdem werden neben der deutschen auch viele andere Sprachen unterstützt. Laut Entwickler gibt es zwanzig unterschiedliche Enden, die basierend auf den getroffenen Entscheidungen erreicht werden können. Da das Spiel jederzeit zu einem beliebigen Tag fortgesetzt werden kann, muss nicht jedes Mal von vorne begonnen werden, um ein Ende freizuschalten.

Allerdings werden manche Entscheidungen derart früh getroffen, dass sich mehrmaliges Durchspielen lohnt und bei einer Spielzeit von etwa 4 Stunden auch problemlos zu bewältigen ist. Zusätzlich lassen sich versteckte Errungenschaften freischalten.

Fazit

Lucas Pope und sein Publisher 3909 verantworten auch Return of the Obra Dinn (2018), und obwohl die beiden Spiele nicht direkt vergleichbar sind, ist ihnen mit Papers, Please schon 2013 ein Überraschungserfolg gelungen. Es existiert sogar eine gelungene Kurzfilmumsetzung von Kinodom Productions aus dem Jahr 2018.

Die Arbeitssimulation aus einer grauen Vergangenheit lohnt sich nicht nur für eingefleischte Bürokraten, sondern auch für Fans von Spielen mit Botschaft. Und für alle, denen der Storymodus nicht ausreicht, gibt es einen Endlosmodus.

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