Gris im Test (PC): Wunderschöne Trauerbewältigung

von Marco Mainz
Gris Titelbild

Nomada Studio hat mit Gris ein grandioses Spiel veröffentlicht, das nur durch Farben, Formen und Musik spricht. Die Geschichte der gleichnamigen jungen Frau, die mit einem Verlust kämpft, hat uns überwältigt.

Es beginnt mit einem Fall. Die Protagonistin wird aus dem Schutz der bergenden Hand gerissen, die unter ihren Füßen bröckelt. Als sie zerspringt, verliert Gris den Halt und fällt durch Wolken, bis sie auf dem kargen Grund landet. Umgeben von den Resten ihres bisherigen Daseins begibt sie sich auf eine Reise, um ihren Verlust zu bewältigen.

 
Dabei durchquert sie verlassene Trümmerberge, die nur von laufenden Steinblöcken bewohnt werden. Diese Ruinen sind manchmal steinerne Monumente mit leeren Hallen, manchmal grazile Stahlkonstruktionen, deren elegante Mechanik strengen geometrischen Formen gehorcht.

Sie spiegeln ihr Inneres wider, das noch von schmerzhafter Leere gezeichnet ist. Mit etwas Zeit beginnt sie, wieder zu funktionieren. Doch wann beginnt sie, wieder zu leben?

Das Leben ist bunt

Mit dem Fall verliert die Welt ihre Farben und präsentiert sich in tristem schwarz-weiß. Gris durchlebt ihren Verlust immer wieder und gibt damit der Umgebung nacheinander die Farben zurück, indem sie ihn mit jedem Mal neu überwindet.

Anfangs ist unsere Aufgabe schlicht das Vorankommen. Wir laufen nach rechts, gegen einen stetig blasenden Wind, der unseren Umhang aufbauscht. Gris springt grazil über Hindernisse, läuft Hänge hinauf und gleitet sie wieder herab.

 
Unterwegs suchen wir leuchtende Sterne, die uns vereint zu Sternenbildern neue Wege eröffnen. Um sie zu erhalten, müssen wir simple Rätsel lösen, die sich organisch in die Welt einfügen. Als wir auf einen verfallenen Palast treffen und sich unsere gesammelten Sterne in ein Sternbild einfügen, erkennen wir das Gesamtbild.

Gris Sterne sammeln

Wir sammeln Sterne ein und geben der Welt stückchenweise ihr Leben zurück. | Bildquelle: Nomada Studio

Haben wir genug Sterne in der jeweiligen Umgebung gesammelt, können wir einen Mechanismus aktivieren, der uns in das nächste Level führt. Dafür erhalten wir mehr Fähigkeiten, wie beispielsweise das Schwermachen, das uns die neuen Orte zugänglich macht.

So werden wir subtil an die richtigen Stellen gelenkt und erfassen von selbst den Sinn der Puzzles. Uns sind immer nur die Areale zugänglich, in denen wir noch etwas einsammeln sollen. Gris ist zwar kein klassischer Plattformer, steigert seinen Schwierigkeitsgrad aber zum Ende hin merklich.

Intuitives Gameplay wird von schwermütigem Soundtrack begleitet

Trotzdem fühlt es sich nicht wie eine Herausforderung an, sondern natürlich und mühelos. Obwohl einige Passagen mehrmals angehen mussten, übt Gris keinen Druck auf uns aus.

Alle Abschnitte sind auf eine Art designt, dass wir nicht weiterkommen, ohne das Ziel erreicht zu haben. Jedes Level ist so sorgfältig durchgeplant, dass sogar Anfänger mühelos erkennen, wo sie langgehen müssen. Wir werden nicht an die Hand genommen, sondern subtil gelenkt. Da wir weder sterben noch scheitern können, wird unseren Versuchen die Schärfe genommen.

Gris Spielwelt

Gris folgt dem Pfad, der sie über Treppen, Plattformen und Gerüste führt. | Bildquelle: eigener Screenshot

In Gris wird nicht gesprochen, die Anleitungen sind auf das Allernötigste beschränkt. Gris‘ Klagen verschmilzt mit den Gesängen im Hintergrund, ihre Schritte kaum lauter als die zarten Melodien, welche uns begleiten.

In den seltenen Actionsequenzen kriecht uns eine Gänsehaut über die Arme, so eindrucksvoll wirkt der Soundtrack auf uns. An anderer Stelle sind es nur wenige melancholische Klänge, die Raum für die Bewunderung der überwältigenden Optik lassen. Die Musik schafft den Spagat zwischen Hoffnung und Verzweiflung und hat uns tief beeindruckt.

Gris gleicht einem gemalten Gedicht

Koloriert wie ein zartes Aquarell, ist jeder Moment wert, für die Ewigkeit festgehalten zu werden. Gris ist zu jedem Zeitpunkt ein wahres Kunstwerk. Jede Farbe gibt auch der Welt etwas Leben zurück.

Wir durchqueren die staubigen Wüsten in Rottönen, von heftigen Winden durchpustet. Wir wandern durch Wälder, in denen kleine Kreaturen vor uns in den Waldboden flüchten. Und wir schwimmen im durchscheinenden Blau von Gewässern.

Das Gelb gibt uns das Licht zurück. Je mehr Farben wir haben, desto anschaulicher wirkt die vorher so trostlose Umgebung. Aber immer wieder treffen wir auf Kreaturen, die uns in verschiedenen Gestalten Böses wollen. Wir stehen ihnen hilflos gegenüber, nur die erwachte Welt kann uns retten.

Gris Spielwelt

Gris erzählt wortlos eine Geschichte voller Schmerz und Verlust, aber auch voller Hoffnung und Leben. | Bildquelle: eigener Screenshot

Gris besitzt eine gewaltige Symbolkraft. Es braucht keine Worte, um Gris‘ Gefühlswelt zu visualisieren. Nicht nur die Farben, die jede für ein Element des Lebens stehen, auch die Monumente, die Materialien und sogar die Perspektive sind mit Sorgfalt ausgewählt.

Tief unter der Oberfläche von Gris‘ erstarkender Welt liegt der schwarz-weiße Schmerz wie in einer Krypta begraben. Über ihr prangen die tröstenden Sterne, die an Zahl zunehmen, je mehr sie den Verlust verwindet.

Wir kehren jedes Mal ins Zentrum zurück und ergänzen das Sternbild, komplettieren es. Wiederkehrendes Element sind neben den Sternen die Sonnensysteme, deren Kreise uns schon im Titelbildschirm begegnen. Selbst die Titel des Soundtracks, die verschiedenen Sprachen entnommen sind, sind enorm aussagekräftig.

Fazit

Gris schafft es, mit Bildern, Farben und Musik das Innenleben der Protagonistin erlebbar zu machen. Zu jedem Zeitpunkt vermag uns die Wasserfarbenoptik zu fesseln. Das reduzierte Gameplay wird dabei nur deswegen nicht zur Nebensache, weil es perfekt ausgeführt ist.

Es ist nicht übertrieben, den Puzzle-Plattformer von Nomada Studio aus Barcelona als vollkommenes Spiel zu bezeichnen. Jedes Detail ist sorgfältig ausgeklügelt und trägt zum Erlebnis bei. Wir können uns nur in Lobeshymnen ergehen und vergeben deswegen die volle Punktzahl.

Gris ist ein das perfekte Spiel für Freund:innen von wundervoll erzählten Geschichten und Genießer:innen audiovisueller Brillianz.

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