The Almost Gone im Test (Switch): Die Geschichte um ein rätselhaftes Baumhaus

von Marco Mainz

Ein junges Mädchen in einer Welt zwischen Leben und Tod, ein mysteriöses Baumhaus und eine unheilvolle Familiengeschichte, die es zu ergründen gilt. Das ist The Almost Gone: Ein kleiner Geheimtipp für den Spielesommer.

Das Werk vom belgischen Studio Happy Volcano ist das Ergebnis eines Aufrufs des niederländischen Kreativwirtschafts-Fonds im Jahr 2015. Um literarisch wertvolle Videospiele zu fördern, hat der Fonds seinerzeit Unterstützung für zwei Projekte in Aussicht gestellt, die in Kooperation zwischen einem Videospielstudio und einem etablierten Autoren entstehen.

So kamen die Entwickler von Happy Volcano mit dem preisgekrönten Autoren Joost Vandecasteele zusammen. Der 41-Jährige hat das Studio bei der Story ihres Titels unterstützt. Das Konzept und der später produzierte Prototyp von The Almost Gone hat die Jury überzeugt, wodurch sich das Werk gegen 47 andere Projekte durchsetzen konnte und eine Produktionsförderung erhielt.

Was ist im Baumhaus passiert?

Was beim Start von The Almost Gone gleich als erstes auffällt, ist das fantastische Art-Design im Pastellfarben-Look. Zartes Rosa, trifft auf himmlisches Babyblau und wird mit weiteren Akzentfarben garniert. Wer nun einen unschuldigen Casual-Titel erwartet, liegt jedoch weit daneben. Unter der kindlich anmutenden Haube versteckt sich eine düstere Narrative um den Tod eines Mädchens.

Mit diesem mysteriösen Brief startet die Story | Bildquelle: Happy Volcano

Im Mittelpunkt des Spiels steht ein namenloses Mädchen, das Sekunden nach ihrem Tod in einer Zwischenwelt gefangen ist. Ihr startet in dem Abbild ihres Kinderzimmers und entdeckt eine Box mit einem Zettel, auf dem geschrieben steht: “Komm zum Baumhaus, dort bist du sicher”. Ziel des Spiels ist es, das Baumhaus zu erreichen.

Doch der Weg dorthin ist sperrig und bespickt mit Rätseln, die es zu lösen gilt. Nach und nach lernt ihr durch das Erforschen der Umgebung die Gefühlswelt des Mädchens kennen und erhaltet Einblick in das nicht ganz so rosa-rote Familienleben. Das Baumhaus wird dabei immer wieder als Motiv aufgegriffen.

So wird die ganze Welt regelrecht von Ästen und Baumstämmen durchbohrt. Sie wachsen aus Schränken und Wänden; nehmen die Welt der Protagonistin mehr und mehr in Beschlag. Was dahinter steckt? Hierzu lässt euch The Almost Gone genügend Interpretationsspielraum.

Verdrehte Welt dank Dioramen-Rätsel

Ihr steuert das Spiel aus der Iso-Perspektive heraus – ein Sinnbild für die schwebende Seele des Mädchens, die alles aus einer gewissen Distanz sieht. In der Bildmitte befindet sich stets eine quadratische Fläche, die einen kleinen Ausschnitt der Spielwelt zeigt.

Der Clue dabei: Durch das Drehen der Fläche könnt ihr verborgene Elemente aufdecken. Diesen Diorama-Effekt kennt man bereits von Nintendos Adventure Captain Toad: Treasure Tracker. Ander als in Nintendos Werk wird in The Almost Gone jedoch keine Figur gesteuert.

Stattdessen erforscht ihr die Umwelt durch das Interagieren mit Gegenständen. Im Herzen ist der Titel ein unkonventionelles Point & Click Adventure mit Rätseleinlagen. Häufig müsst ihr für das Voranschreiten Zahlenkombinationen von Safes oder Schlössern herausfinden.

Die jeweiligen Kombinationen verstecken sich mal mehr, mal weniger offensichtlich in den Leveln. Auf Hilfestellungen verzichtet The Almost Gone indes vollends. Kommt ihr mal an der einen oder anderen Kopfnuss nicht weiter, hilft lediglich endloses Ausprobieren und Klicken in der Spielwelt. Häufig kam es ausgerechnet beim wilden Klicken am Bildschirm bei uns vor, dass wir noch einen Hinweis gefunden haben.

Dichte Atmosphäre trifft auf Farbenfreude

Dass The Almost Gone optisch mit seinem Pastell-Look was hermacht, haben wir eingangs bereits beschrieben. Besonders im ersten der fünf Akte sehen die Level noch richtig schick aus. Das nimmt zum Ende hin etwas ab, da die Level immer trister werden, was jedoch der Dramaturgie wegen Sinn ergibt.

Die freundlichen Farben trügen. Hinter der Fassade wartet eine unheilvolle Story. | Bildquelle: Happy Volcano

Doch es ist nicht die Optik alleine, sondern die Komposition aus Grafik und Sound, die den Titel so spannend machen. Die schönen, kindlichen Farben bilden einen starken Kontrast zum Sounddesign. Letzteres besteht nämlich hauptsächlich aus tiefem Dröhnen, was zu einer dauerhaften Anspannung führt.

Hin und wieder kommt es zudem zu überraschenden Schreckmomenten. Etwa dann, wenn ein Glas plötzlich zu Bruch geht und ein lautheulender Schneesturm durch das Zimmer weht. Von diesen surrealen Momenten gibt es bei der rund 4 stündigen Story zwar nicht viele. Dafür sind sie sehr gut eingesetzt und sorgen in den richtigen Momenten für die nötige Abwechslung. Darüber hinaus bleibt das Sounddesign sehr sparsam, was dem Titel sehr gut tut.

Fazit

The Almost Gone ist mal wieder ein kleiner knackiger Indie-Geheimtipp, der mit seiner rund vierstündigen Spielzeit perfekt als Spiele-Snack für einen Samstagabend herhalten kann. Mit dem frischen Design und einer düsteren Tonalität mischt Happy Volcano eine sehr ansehnliche und hörbare Komposition zusammen.

Die Geschichte von Autor Joost Vandecasteele ist perfekt in das Gesamtsetting eingebettet und wird erstaunlich gut mit der Spielmechanik verwoben. Wir finden, dass der letzte Akt etwas kurz geraten ist und fast schon urplötzlich mit den Credits winkt. Nichtsdestotrotz macht The Almost Gone in seiner Narrative vieles richtig und setzt seine Motive wohldosiert ein.

Die für einen Puzzler so wichtigen Rätsel sind abwechslungsreich, teils innovativ, variieren nach unserem Geschmack jedoch deutlich im Schwierigkeitsgrad. Gerade für die etwas härteren Kopfnüsse wären Tipps und Hinweise wünschenswert, sollte der Spieler innerhalb der Level herumirren.

Etwas ärgerlich empfanden wir die Steuerung mit der Nintendo Switch, die nicht so intuitiv von der Hand geht, wie bei der PC- oder Mobile-Version. Sowohl das Drehen des Levels als auch die Steuerung des Cursors geht mit Maus oder Fingerswipe deutlich angenehmer von der Hand als das Triggerklicken und Analog-Knopf-Fummeln mit dem Handheld. Falls ihr euch also The Almost Gone zulegen wollte, dann lieber nicht für Nintendos Handheld.

The Almost Gone ist unter dem Strich ein solider Puzzler, dessen Stärke in der tollen Inszenierung steckt.

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