Norco im Test (PC): Eine Heimkehr, die nachhallt

von Marco Mainz
Norco – New Orleans

Manchmal liegen Geschichten auf der Straße und mitunter muss man nur aus dem Fenster schauen, um sich inspirieren zu lassen – so wie die Entwickler von Geography of Robots, die uns mit ihrem Debüt auf einen fesselnden Trip in ihre Heimat Lousiana mitnehmen.

Norco heißt ihr frisch veröffentlichtes Point-&-Click-Adventure, für das der gleichnamige, von einer gewaltigen Raffinerie geprägte Vorort von New Orleans Pate stand. In der realen Welt fördert hier Shell Unmengen von Öl, im Pixeluniversum tut das ein Megakonzern namens Shield, dessen Raffinerie twenty-four seven brummt, und der immer größere Teil der Stadt schluckt, viele seiner Bewohner nährt und gleichsam auch auslaugt.

In dieses Norco kehrt Protagonistin Kay nach einer fünfjährigen Selbstfindungsodyssee, die in einem ziemlich grandiosen Intro zusammengeballt wird, unfreiwillig zurück. Ihre Mutter ist an Krebs gestorben und Kay macht sich Sorgen um ihren jüngeren Bruder Blake. Zurecht, wie sich bald herausstellt, denn von Blake fehlt jede Spur und damit beginnt ein sieben- bis achtstündiges Abenteuer durch Norco, New Orleans und die Sümpfe von Lousiana.

Ein Themenmix, der fesselt

Was als Detektivstory beginnt, entwickelt sich zu einem fesselnden Trip, der zwischen Realismus, Mystery und Science-Fiction, zwischen Familiendrama, Gesellschaftsstudie und Wirtschaftskrimi changiert und Gesundheits- und Geldsorgen ebenso thematisiert wie Glaube und die Suche nach Sinn. Immer wieder nimmt die Story Abzweigungen, die man zuvor nicht erahnt, und die das Ganze mal vorübergehend, mal nachhaltig in eine andere Richtung lenken.

Ihr mögt Point-and-Click-Adventures? Dann lest auch unseren Test zu Growbot.

Wer jetzt an Negativbeispiele wie Fahrenheit von Quantic Dream denkt, in denen Ton und Feeling des Spiels mal eben auf 180 gedreht werden, den kann ich jedoch beruhigen: Die Storyentwicklungen von Norco fühlen sich, von ein, zwei kleinen Ausnahmen abgesehen, in keiner Weise aufgesetzt oder erzwungen an.

Norco Motorrad
Back to the Roots: Nach dem Krebstod ihrer Mutter kehrt Protagonistin Kay nach Norco zurück. Doch von ihrem Bruder fehlt jede Spur. | Bildquelle: eigener Screenshot.

Die Bandbreite an Themen, die hier behandelt oder zumindest angeschnitten werden, ist beachtlich. Aber es passiert stimmig und im Flow der Geschichte, die vor allem in der ersten Hälfte enorme Sogkraft entwickelt. Zwischendrin hängt die Story etwas durch, zum Finale hin nimmt sie dann jedoch wieder Fahrt auf.

Waschechte Charaktere tragen die Narrative

Über die Enden (es gibt zwei) kann diskutiert werden, doch deshalb seid ihr ja nicht hier, sondern um eine Einschätzung zu erhalten, ob man Norco gespielt haben sollte: Die Antwort lautet Ja, es sei denn ihr habt eine Aversion gegen Pixelart, storylastige Spiele oder unvertonte englische Texte.

Hier muss schon einiges gelesen werden und wenn auch manche Zeilen eher Füllmaterial sind – die meisten Dialoge und Reflexionen in Norco sind wirklich gut geschrieben, haben mich tief in diese Welt eintauchen lassen und mir hin und wieder auch ein fettes Grinsen ins Gesicht geklebt.

Norco Droiden
Haushaltsandroid Million ist einer von mehreren wechselnden Begleitern in einer Story, die immer wieder überraschende Abzweigungen nimmt. | Bildquelle: eigener Screenshot.

Dieselbe Liebe haben die Entwickler in viele der Charaktere gesteckt, denen ihr unterwegs begegnet: Das hier sind keine blassen Hüllen, die in ein Videospiel hineingeschrieben wurden, weil es eben auch Bewohner braucht, sondern echte Typen, die glaubwürdig agieren und allein in ihren 8 bit-Pixelporträts mehr Charisma ausströmen als viele auf Hochglanz polierte Triple A-NPCs.

Was Hauptperson Kay angeht, bin ich nicht ganz so euphorisch. Zu Beginn hat sie durchaus Profil, das der Spieler ihr mit der Wahl von Antworten und Hintergründen auch selbst verleihen darf, zum Finale hin fehlt das jedoch etwas, Kay reflektiert kaum noch, wird sehr still und fast ein bisschen an den Rand der Erzählung gedrückt.

Handzahmes Point-and-Click ohne echte Herausforderung

Die Nebenfiguren sind da deutlich plastischer und die Begegnungen mit ihnen tragen wesentlich zum Vibe und zur dichten Atmosphäre dieses dystopischen Louisianas bei, ebenso wie der Look und der stimmungsvolle Soundtrack. Postindustrielle Elektronik nennt man das hier wohl, dazu ein klein wenig Metal, manchmal zurückhaltend, dann wieder ordentlich lospumpend, immer passend zum Geschehen auf dem Screen.

Norco – Tankstellenwart Troy
„You look like shit“: Tankstellenbetreiber Troy ist nur einer von vielen erinnerungswürdigen Charakteren, mit denen ihr es zu tun bekommt. | Bildquelle: eigener Screenshot.

Und die Rätsel? Es gibt sie, aber keines der Puzzles ist derart herausfordernd, das es dem Fortgang der Story im Weg steht. Manche Hindernisse räumt das Spiel so eilfertig selbst aus dem Weg, dass man nicht einmal dazu kommt, sich Gedanken über Lösungswege zu machen.

Dann wiederum gibt es schon ein paar Stellen, an denen ihr mehr gefordert werdet, aber wirklich gehangen bin ich zu keinem Zeitpunkt, auch weil die Anzahl der Hotspots, mit denen ihr interagieren könnt, durchwegs überschaubar ist und sich im Inventarrucksack selten mehr als zwei Gegenstände befinden.

Norco ist eines unserer Top-5 Indie Games im März 2022.

Wer seine Point-&-Click-Adventures gewaltlos mag und auch ausschließlich so spielen will, wird die Endcredits von Norco jedoch nur auf Youtube zu sehen bekommen: Manche Rätsel lassen sich nur auf die harte, durchaus blutige Tour lösen. Es gibt sogar eine Art rundenbasiertes Kampfsystem, das auf kleine Quicktime-Events setzt und alles andere als schwierig, aber auch in keiner Weise optional ist.

Norco – Louisiana
Auch die Sümpfe Louisianas spielen eine bedeutende Rolle auf diesem in keine Genre-Schublade passenden Trip. | Bildquelle: eigener Screenshot.

Fazit

Schon nach dem Intro hatte mich Norco in seinem Bann und so bald hat es mich auch nicht wieder daraus entlassen. Und das, obwohl sich die Story weder in die Richtung entwickelte, die ich am Anfang vermutet hatte, noch in die, die ich mir gewünscht hätte – aber hey, Videospiele sind kein Wunschkonzert.

Dafür hat Norco, das übrigens auch im Game Pass enthalten ist, etwas vollbracht, was nur wenige Titel schaffen: Es hat mich etwas fühlen lassen. Und es hat mich beschäftigt, nicht nur beim Spielen, sondern auch danach und dazwischen. Was fraglos an der Handlung lag, ebenso aber an der dichten Atmosphäre dieses Debüts, das so reif und geschliffen daherkommt, als wäre Geography of Robots schon lange im Geschäft.

An die Sümpfe Lousianas, die titelgebende Vorstadt von New Orleans, vor allem aber an seine Bewohner werde ich mich noch eine ganze Weile erinnern: Einige Begegnungen und Bilder dürften sich recht tief in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Im Gegenzug müsste ich lange überlegen, um mich an ein Point & Click-Adventure mit mehr Vibe und Sogkraft zu erinnern. Kentucky Route Zero vielleicht, aber auch davor muss sich Norco in keiner Weise verstecken, im Gegenteil. Für mich persönlich wird dieser Südstaatentrip vermutlich sogar länger nachhallen.

Norco hat etwas zu erzählen und jeder, der storylastige Spiele mag, sollte Kay bei ihrem ebenso fesselnden wie bizarren Homecoming begleiten.

Hat euch der Artikel gefallen? Weitere Spiele-Tests findet ihr hier.

Das könnte dir auch gefallen