Ghost on the Shore im Test (PC): Eine emotionale Achterbahn

von Marco Mainz

Ghost on the Shore von Studio Like Charlie und dem deutschen Publisher Application Systems Heidelberg nimmt die Spieler mit auf die Reise von Riley, die auf einer verlassenen Insel den Spuren einer fremden Vergangenheit folgt. In unserem Test verraten wir, ob das Abenteuer eine Reise wert ist.

Das belgische Studio Like Charlie wurde erst 2018 gegründet und veröffentlichte im selben Jahr sein First-Person-Spiel Marie’s Room, das kostenlos auf Steam spielbar ist. Heute, vier Jahre später, veröffentlicht das Studio sein nächstes Spiel: Ghost on the Shore. Das Indie Game soll von seinem emotionalen Narrativ getragen werden und die Spieler so durch eine Geschichte führen.

Ghost on the Shore ist unser Platz 19 auf der Liste der meisterwarteten Indies des Jahres 2022.

Es wird aus der Egoperspektive von Riley erzählt, die sich in ihrem Hausboot auf eine Überfahrt macht. Doch sie gerät in einen Sturm und sieht sich gezwungen, auf einer ihr unbekannten Insel anzulegen. Damit nicht genug Ärger, beginnt sie auch noch, die Stimme eines Geists in ihrem Kopf zu hören. Er heißt Josh, sagt er, aber er erinnert sich nicht an sein Schicksal.

Also macht Riley sich mit ihm als ständige Begleitung auf den Weg, um die erste der insgesamt drei Inseln zu erkunden, die auch Rogue Islands genannt werden. Dabei stößt sie auf verlassene und überwucherte Ruinen, in denen sie Gegenstände und Dokumente der ehemaligen Bewohner findet.

Wir haben Ghost on the Shore bereits auf der Gamescom 2020 anspielen dürfen.

Schnell wird ihr klar, dass Joshs Geschichte untrennbar mit der des kleinen Eilands verbunden ist. Je mehr wir über die Rogues herausfinden, desto klarer wird auch unser Bild von Josh. In Rileys Haut zu stecken, ist für die Art der Erzählung unerlässlich. Die Egoperspektive ist daher ein adäquates Stilmittel.

Die Geister der Vergangenheit

Das Suchen und Begutachten von Gegenständen ist ein zentraler Aspekt des Gameplays. Einige Objekte sind sogar detailliert gerenderte Abbilder echter Vorbilder, die zum Teil antiquierte Alter haben (Wir wussten jedenfalls nicht, was ein Spittoon ist). Wir nehmen sie auf und drehen sie nach Belieben herum, wobei sich manches Geheimnis offenbart.

Briefe, Tagebücher und Zeitungsartikel können wir lesen, wobei zusätzlich zu den handschriftlichen Dokumenten leichter lesbare transkribierte Versionen zur Verfügung stehen. Ein Anzeiger für interaktive Items weist uns den Weg zu neuen Entdeckungen. Auf die gleiche Art finden wir auch Briefe und Tapes, die uns mehr über gewisse Personen verraten.

Ein Brief verrät uns mehr über eine Person namens Margo. Ob sie diese Hütte bwohnt hat?
Ein Brief verrät uns mehr über eine Person namens Margo. Ob sie diese Hütte bewohnt hat? | Bildquelle: eigener Screenshot.

Riley betrachtet aber nicht nur, sie dokumentiert ihre Funde auch. In ihrem Tagebuch bewahrt sie Briefe auf, skizziert Landschaften und schreibt ihre Spekulationen nieder. Die Gebäude und Gegenstände stecken voller liebevoller Details und Anspielungen an die vergangenen zwei Jahrhunderte: Ein QR-Code auf einer Konservendose führte uns zu der itch.io-Seite eines Indie Game namens We’ve got beef! Das Tagebuch dient gleichzeitig als Chronik der Reise und beherbergt all unsere Funde sowie Rileys Gedanken dazu.

Rot wie Klatschmohn

So sorgfältig und detailliert die diversen Zeitzeugen gestaltet sind, so malerisch präsentiert sich die Umgebung. Obwohl manche Animationen aus dem Rahmen fallen, ist die Umgebung sorgfältig gestaltet und passt mit ihre Pinseloptik zum nostalgischen Grundton. Während Details in der Ferne verschwimmen, wurde auf die akkurate Gestaltung von Blumen sichtlich Wert gelegt.

Ihr mögt narrative Adventures? Dann empfehlen wir auch: »In Other Waters«.

Die Ausleuchtung variiert je nach Insel und zeichnet sich für die jeweilige Atmosphäre verantwortlich. Obwohl die Grafik zum Teil auf dem schmalen Grat zwischen gelungen und verwaschen balanciert, haben wir uns schnell daran gewöhnt. Dazu kommen unauffällige Umgebungsgeräusche, die uns über die sparsam eingesetzte Musik hinwegtrösten.

Obwohl nicht alle Animationen überzeugen, harmoniert das Gesamtbild.
Obwohl nicht alle Animationen überzeugen, harmoniert das Gesamtbild. | Bildquelle: eigener Screenshot.

Alle Personen sind voll vertont, leider nur in Englisch. Wir hatten trotzdem keine Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Im Gegenteil, die Stimmen der Zweckgemeinschaft haucht der Story Leben ein. Daran ändern auch seltene Aussetzer nichts, in denen plötzlich Gesprächsschnipsel fehlten. Dem Lesen sollte ihr dagegen nicht abgeneigt sein, vieles ergibt sich aus längeren Dokumenten in englischer Sprache.

Gestrandete Geschichten

Die Synergie zwischen den dynamischen Gesprächen und den sorgfältigen Erkundungen sorgt allerdings für heftige Tempowechsel. Der Beginn fühlt sich hektisch erzählt an, dann folgt eine langsame Orientierungsphase. Zum Ende hin nimmt sich das Abenteuer unserem Geschmack nach zu wenig Zeit für die Auflösung. Da die Gesamtspielzeit etwa drei Stunden beträgt, fielen uns solche Brüche umso mehr auf. Wer genau aufpasst, dürfte vom Ende kaum überrascht sein. Packend inszeniert ist es trotzdem, im wahrsten Wortsinne.

Je nach Lichteinfall verändert sich nicht nur die Atmosphäre, sondern auch die Stimmung. | Bildquelle: eigener Screenshot

Uns hat der detektivische Aspekt der Erzählung am meisten Spaß gemacht. Immer wieder stolperten wir über Puzzlestücke, die das Gesamtbild um neue Details ergänzten oder Charakteren mehr Tiefe verliehen. Lebendig wurde die Geschichte der Rogues im Gespräch zwischen Riley und Josh, in dem wir immer wieder Entscheidungen treffen mussten.

Application Systems Heidelberg ist bekannt für seine Adventures: Hier findet ihr mehr zum Publisher.

Dabei bleibt nur wenig Zeit, ein Aspekt, der dem ruhigen Spieltempo zuwiderläuft. Obwohl die Entscheidungen auf den ersten Blick keine Auswirkungen zu haben scheinen, warten mehrere Enden auf unsere Entdeckung. Wo wir allerdings den Ausgang der Geschichte beeinflusst haben, ist schwer zu sagen.

Fazit

Ghost on the Shore wird in einem Guss erzählt, schafft es aber nicht immer, uns emotional abzuholen. Einige Sprünge in der Stimmung machten es uns schwer, uns in Riley und Josh hineinzufühlen. Das überhastete Ende hat uns leider abgehängt, auch weil wir uns fühlten, als sei uns die Kontrolle entrissen. Dabei ist genau diese Kontrolle die große Stärke des mysteriösen Abenteuers. Wir folgen einem sorgsam vor uns ausgelegtem Pfad, der keinesfalls willkürlich durch die Wildnis führt.

Stattdessen lenkt er uns mehr oder weniger subtil genau dorthin, wo die nächste Enthüllung auf uns wartet. Ein Stein stapelte sich auf den anderen, mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit. Fiktive Zeitzeugen erwecken lange vergangene Geschichten zum Leben und transportieren wichtige Botschaften. Am Ende ergab vieles Sinn, fühlte sich aber dennoch weniger nahbar an als der Anfang.

Ghost on the Shore ist ein Erlebnis, das voller liebevoller Details und einer Menge Recherche steckt. Weder die Grafik noch die Geschichte oder das Voice Acting enttäuschen, sodass wir am Ende eine Empfehlung für Fans von langsamen Erkundungen und emotionalen Achterbahnen aussprechen.

Das könnte dir auch gefallen